Die Wahrheit steckt im Haar: Wie Synlab Weiden Drogenkonsum nachweist

Weiden in der Oberpfalz
23.05.2023 - 16:53 Uhr
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Die Frage, ob jemand in Deutschland nach einer Alkoholfahrt seinen Führerschein wiederbekommt, entscheidet sich oft im Synlab-Labor an der Kesselschmiede. Dort sind Spezialisten noch ganz anderen Drogen auf der Spur.

Ja, säuft und kifft denn ganz Deutschland? Wer den knapp 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der forensisch-toxikologischen Drogenuntersuchung im dritten Stock des Weidener Synlab-Gebäudes im Gewerbegebiet Mitte über die Schulter schaut, könnte es meinen. Unzählige Phiolen und Reagenzgläschen stehen dicht an dicht auf Tischen, eingerahmt von Bildschirmen und sündteuren Geräten wie einem hochauflösenden Massenspektrometer.

In den Phiolen befinden sich Haar-, Speichel-, Schweiß- oder meist Urinproben. Abgegeben wurden sie von Autofahrern, die durch Schlangenlinien auf der Straße aufgefallen waren; Techno-Tänzern, in deren Jacken Polizisten bunte Pillen entdeckt hatten; Eltern, die als Crystalkonsumenten bekannt sind und von Behörden beurteilt werden, ob Kinder in ihrem Haushalt behütet aufwachsen können.

Wie viele Proben Synlab in Weiden pro Jahr analysiert, gibt das Unternehmen nicht preis. "Im fünfstelligen Bereich, wir sind in Deutschland bei der Menge ganz vorne mit dabei", sagt Dr. Hans-Wolfgang Schultis, der Ärztliche Leiter des Standorts. Ganz vorne mit dabei gilt auch für die Technik. "Wir können THC-Carbonsäure (Cannabis-Wirkstoff, die Red.) im Verhältnis 1:100 Milliarden nachweisen. Das ist etwa ein Stück Würfelzucker im Bodensee", erklärt Laborchef Dr. Christoph Sauer. Für die Justiz ist das eine große Hilfe. Das Synlab-Team kann Belege bringen, ob jemand die Wahrheit sagt, wenn er angibt, Marihuana in seinem Haar komme daher, weil er neben einem Kiffer einem Konzert gelauscht habe, oder ob er es selbst raucht.

Jede Woche neue Gifte

Gerade bei synthetischen Cannabis-Produkten wie Kräutermischungen (Spice), aber auch bei Amphetamin ist das Synlab-Team Teil eines Hase-und-Igel-Rennens. Nahezu jede Woche kommt in der EU irgendwo ein Rauschstoff auf den Markt, den immunologische Drogenscreenings nicht oder nur schlecht erfassen. Manchmal sind nur wenige Moleküle im Vergleich zu bereits verbotenen Substanzen verändert.

Synlab kann mit seinen Analysemöglichkeiten Feinmassen nachweisen, die eine Einteilung dieser neuen Drogen möglich machen. Im Fachjargon fallen dazu Schlagworte wie hochauflösende Flugzeitmassenspektronomie und Flüssigchromatographie. Damit erstellt das Labor eine biochemische Bibliothek, die ständig wächst. Synlab sammelt sozusagen Fingerabdrücke von psychoaktiven Produkten und meldet sie an Landeskriminalämter oder das Bundeskriminalamt weiter. Dort kommt es zum Monitoring, das heißt zum Prozess der Klassifizierung, ob etwas legal bleibt oder nicht. Grundlage dazu ist das sogenannte Neue-Psychoaktive-Substanzen-Gesetz, kurz NPSG.

Zum Tagesgeschäft im Gewerbegebiet Mitte gehört die Volksdroge Alkohol. Sauer hält sie für "absolut unterschätzt". Synlab Weiden spielt eine wichtige Rolle, wenn es um die MPU geht, die medizinisch-psychologische Untersuchung. Dieses Verfahren geben Stellen wie der TÜV in Auftrag. Es soll Klarheit bringen, ob Verkehrssünder, die mit reichlich Promille oder einem kurz vorher gerauchten Joint am Steuer erwischt wurden, nach Monaten oder Jahren abstinent sind und ihren Führerschein wiederbekommen dürfen.

Dazu sind bis zu sechs Urinproben im Jahr abzugeben. Und zwar auf Sicht, das heißt unter Beobachtung neben einem Spiegel am Urinal bei hochgezogenem Hemd. Entwürdigend? Auf jeden Fall für alle Beteiligten nicht erhebend. "Wir haben hier nichts erlebt, was es nicht gibt", begründet Schultis die Prozedur. Probanden, die sich in Internet-Sexshops Kunsturin bestellt haben, der in einem Beutel auf die Schulter geklebt wird und sich auf Körpertemperatur erwärmt. Die Flüssigkeit wird dann in einem transparenten Röhrchen Richtung Genitalien geleitet. Die Probandin oder der Proband muss dann so tun, als ob er Wasser lässt.

Betrugsversuche beim Pinkeln

Gleiches gilt für umhängbare Plastikpenisse namens Screeny Weeny. Sie enthalten Fremdharn und werden im Netz beworben, dass sich damit MPU-Tester austricksen lassen. Doch ob Schmuggelurin, Wochen vorher abgezapfter Eigenurin oder mit Chlortabletten manipuliertes Pipi: Den Synlab-Analytikern entgeht nichts. Wer betrügt, muss die Prozedur von vorne durchlaufen. Nicht ganz billig. Einmal im Labor pinkeln kostet 77 Euro. Trotzdem: "Wir sind schneller und preiswerter als andere", preist Schultis den Standort an. Der hat sich seit 2009 zum Big Player der forensisch-toxikologischen Drogenuntersuchung entwickelt.

Für Schultis ist dies vor allem ein Verdienst des früheren Abteilungsleiters Josef Ippisch. "Er hat es geschafft, die erste private Akkreditierung für ein Labor im Bereich der Drogenanalytik zu bekommen." Solche Verfahren waren zuvor ausschließlich der Gerichtsmedizin vorbehalten. Die Voraussetzungen für die Akkreditierung sind hoch. Unter anderem ist das Vier-Augen-Prinzip gefordert. Kein Mitarbeiter darf allein eine neu eingetroffene Probe auspacken. So soll das Risiko, etwas zu vertauschen, minimiert werden.

Eine spannende Frage ist die Auswirkung der geplanten Cannabis-Legalisierung. "Es ist schwierig vorherzusagen. Möglicherweise werden wir dann mehr mit Cannabis beschäftigt sein und weniger mit Spice", sagt Christoph Sauer. Politisch bewerten will er die Pläne nicht.

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Weiden in der Oberpfalz01.03.2023
Hintergrund:

Synlab Weiden

  • Einer von über 100 Synlab-Standorten in rund 35 Ländern weltweit, spezialisiert auf Humanmedizin
  • Rund 350 Mitarbeiter
  • Schwerpunkt ist die PCR-Diagnostik zum Nachweis von Covid- und anderen Viren
  • Weitere Domänen sind die forensische Drogenanalytik und das Neugeborenen-Screening sowie Biom-Tests, eine innovative diagnostische Analyse von Bakterienkulturen
  • Der Synlab-Konzern hat seinen Hauptsitz in München, 2023 sind rund 2,7 Milliarden Euro Umsatz angepeilt
 
 

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