Meeresbiologin, Chirurgin oder Rechtsanwältin – die Achtklässlerinnen aus der Sophie-Scholl-Realschule in Weiden haben große Ziele. Handwerkliche Berufe sind nicht dabei. Die sind "eher etwas für Jungs", sagt die 14-jährige Mara Krapf. Von wegen, widerspricht Thomas Grill, Ausbilder Elektro/Elektronik im Berufsbildungszentrum der Handwerkskammer Niederbayern-Oberpfalz: "Frauen sind den Männern voraus." Sie lernen schnell, arbeiten konzentriert und können auch im Handwerk viel erreichen. Genau davon wollen Grill und seine Kollegen die Achtklässlerinnen bei einem Schnuppertag im Berufsbildungszentrum überzeugen.
Sägen, löten und mörteln
In kleinen Gruppen bekommen die 80 Schülerinnen Einblicke in die verschiedenen Gewerke. Die Achtklässlerinnen haben die Wahl zwischen Elektro, Metall, Bau, Zimmerei oder Kfz. Für zwei dieser Berufsfelder sollten sie sich vorab entscheiden. In den Werkstätten dürfen sie auch gleich selbst tätig werden. Sägen, löten und mörteln – auf lange Fingernägel oder schicke Kleidung wird keine Rücksicht genommen. Ohne großes Murren krempeln die Mädchen ihre Ärmel hoch und schnappen sich eine Maurerkelle. "Macht Spaß, aber ich habe andere Interessen", gibt Heyam Mahmoud zu, nachdem sie mit ihren Freundinnen einen Rundbogen gemauert hat. Danach geht es für die Mädchen weiter in die Kfz-Werkstatt. Hier lernen die Achtklässlerinnen das Reifenwechseln, dürfen selbst mal ein Auto anlassen und die Lichtanlage prüfen. Die Freude ist groß. Die 14-Jährigen saßen noch nie zuvor selbst hinter dem Steuer eines Autos.
Als Harald Reiter, Kursleiter Kraftfahrzeugtechnik, die Gehaltstabelle der Kfz-Mechatroniker an die Wand projiziert, geht ein Raunen durch die Gruppe. Rund 859 Euro im ersten Ausbildungsjahr und bis zu 1068 Euro im vierten Lehrjahr. "Brutto oder netto?", fragt eine Schülerin. "Davon kann ich mir keine Wohnung leisten", fügt sie hinzu. Reiter versucht sie zu beruhigen: Das ist ein gutes Gehalt für eine Ausbildung. Wenn sie sich gut bewährt und zuverlässig ist, hat sie nach der Ausbildung eine gute Basis für die Gehaltsverhandlung. Zu seiner Zeit habe er 250 Mark in der Ausbildung verdient, fügt Reiter an. Doch das scheint die Mädchen nicht ganz zu überzeugen. "Wenn es mit den anderen Jobs nichts wird, dann könnten wir das ja machen", sagt Mara Krapf. Die 14-Jährige will später mal Tierärztin werden. Auch in der Zimmerei meldet sich kein Mädchen, als die Schülerinnen zum Abschluss gefragt werden, ob sie sich die Arbeit mit Holz auch beruflich vorstellen können.
Alles, nur nicht Handwerk?
Josef Greiner, Ausbilder in der Zimmerei, ist davon wenig überrascht. Viele Eltern würden von ihren Kindern erwarten, dass sie "bloß nicht ins Handwerk" gehen. Vielleicht haben sich interessierte Mädchen vor ihren Mitschülerinnen auch nicht getraut, sich zu melden, überlegt der Zimmerer und erzählt eine Anekdote: Als eine Schulklasse mal an seinen Kollegen auf der Baustelle vorbeigegangen ist, soll die Lehrerin zu ihren Schülern gesagt haben: "Lernt ordentlich, sonst steht ihr auch da oben." Dabei habe sie auf die Zimmerleute auf dem Dach gezeigt, erinnert sich Greiner. Das zeige recht gut, welchen Stellenwert das Handwerk habe.
"Meinen Vater würde es freuen, wenn ich ins Handwerk gehe", widerspricht Lucy Götz, deren Vater selbst in der HWK Schwandorf arbeitet. In der Elektro-Werkstatt lötet die 13-Jährige mit ihren Freundinnen kleine Drähte auf eine Platine. "Das hab ich mal im Fernsehen gesehen, aber noch nie selbst gemacht", sagt Götz, während sie konzentriert den Anleitungen von Thomas Grill folgt. Am Ende soll das Spiel "Drei in Reih" entstehen. Es ist interessant und macht Spaß, lautet das Fazit der Schülerin. Ihr Berufsziel sei aber auch nach einem Tag in der Elektro-Werkstatt immer noch Fotografin oder Polizistin bei der Reiterstaffel.
Vielfältige Karrierewege
"Wir müssen die jungen Leute aufwecken", appelliert Kreishandwerksmeister Erich Sperber. Das Handwerk habe sich in den letzten 20 Jahren weiterentwickelt. Dennoch könne man nicht alles automatisieren. Wir suchen händeringend Leute, bestätigt auch Grill: "Das Interesse der jungen Menschen war früher mal höher." Aber die Auszubildenden, die in den Kursen des Bildungszentrums in Weiden sitzen, seien "unbändig bei der Sache", räumt Grill ein. Doch bis sich Schüler für ein Handwerk entscheiden, ist oft viel Überzeugungsarbeit nötig. Aktionen wie der "Tag des Handwerks" sollen jungen Menschen zeigen, wie vielfältig die Karrierewege im Handwerk sein können – egal welchen Schulabschluss sie haben. Dabei stehen laut Anita Gmeiner, Talentscout bei der HWK Niederbayern-Oberpfalz, vor allem die Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten im Fokus. Bei Karl Winkler, Ausbilder in der Abteilung Bau, lernen aktuell zwei Abiturientinnen "von der Pike auf" das Bauhandwerk. Die beiden wollen laut Winkler im Anschluss "noch weitermachen". In der Zimmerei gibt es laut Greiner auch einige junge Menschen, die ihre Zimmermeister-Ausbildung als Grundlage für ein Studium in Holztechnik oder Architektur nutzen.
Die Aktionstage der HWK sollen Schülern helfen, selbst eine gute und eigenständige Entscheidung für ihre Zukunft treffen zu können, erklärt Gmeiner: "Wenn Schülerinnen oder Schüler während der Aktionswoche festgestellt haben, dass sie andere Interessen haben, dann sehen wir das auch als einen Erfolg im Sinne der Berufsorientierung."
Tag des Handwerks
- Schülerinnen und Schüler aller Schularten erhalten am "Tag des Handwerks" einen praxisnahen Einblick in die Ausbildungsberufe und Karrieremöglichkeiten im Handwerk.
- Die Handwerkskammer Niederbayern-Oberpfalz bietet dafür in den verschiedenen Werkstätten ihrer Bildungszentren Berufsorientierungstage an.
- Schwerpunktmäßig fand der "Tag des Handwerks" in der Woche vom 27. Februar bis zum 3. März 2023 statt. Aber auch während des gesamten Schuljahres, sind Berufsorientierungstage möglich.
- Ab dem Schuljahr 2022/2023 ist der „Tag des Handwerks“ für Schulen verpflichtend.
- Allein im Weidener HWK-Bildungszentrum standen rund 400 Schüler aus Schulen im Einzugsgebiet an den Werkbänken.
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