Nach Maikundgebung: Brunner-Bäcker geht gegen Gewerkschafter vor

Weiden in der Oberpfalz
09.05.2023 - 19:51 Uhr
OnetzPlus

Gerhard Brunner ist schwer sauer. Er werde als Lohndrücker hingestellt, zahle aber vielfach über Tarif. Der Großbäcker über einen Traditionsberuf, dem an allen Ecken das Personal ausgeht.

Im Volksmund ist die riesige Halle in der Georg-Stöckel-Straße immer noch die Brunner-Backstube. Ein niedlicher Name für eine Fabrik, die Tausende von Semmeln und Brote verlassen, um in 86 Bäckerei-Filialen zwischen Vohenstrauß und Pegnitz, Bayreuth und Bad Abbach in der Verkaufstheke zu landen. Gerhard Brunner führt das Unternehmen, das sein Vater Erich 1958 gegründet hat, in zweiter Generation. Er legt Wert auf das Familienbetrieb-Image, für das zuallererst spricht, dass Tochter Sophie (24) als potenzielle Nachfolgerin bereits in die Firma eingetreten ist.

Diesem Bild verpasste jüngst Dirk Stockfisch einen Kratzer. Der Oberpfalz-Repräsentant der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) trat am 1. Mai ans Rednerpult bei der DGB-Maikundgebung am Unteren Markt. Sein Vorwurf: Brunner zahle nur Mindestlohn, und weil es seit August 2021 einen Betriebsrat gebe, habe er die Bäckerinnung verlassen. Das sei Tarifflucht. Buhrufe und Pfiffe ließen auf den Bierbänken ringsum nicht lange auf sich warten.

"Eine Unverschämtheit"

Gerhard Brunner will sich das nicht gefallen lassen: "Eine Unverschämtheit." Der 56-Jährige hat umgehend einen Anwalt eingeschaltet und fordert von Stockfisch eine Unterlassungserklärung. "Wenn ich nur Mindestlohn zahlen würde, würde ich überhaupt keine Leute mehr kriegen", sagt der mit 730 Beschäftigten vielleicht größte private Arbeitgeber Weidens. Und die Mitgliedschaft bei der Innung habe er im Juni 2021 gekündigt, also schon zwei Monate bevor ein Betriebsrat installiert war. "In der Innung finden Sie kaum noch einen Bäcker unserer Größe, da sind die Strukturen einfach andere."

Warum also hat Gewerkschafter Stockfisch am 1. Mai so ausgekeilt? "Keine Ahnung. Da müssen Sie ihn selber fragen." Stockfisch will wegen des laufenden Verfahrens zunächst nichts dazu sagen, klingt aber dann wesentlich versöhnlicher als auf der Maikundgebung. "Seit wir bei Brunner aktiv sind, grob gesagt seit 2021, ist da schon viel passiert." Der NGG-Mann, der mehrmals die Qualität der Brunner-Ware lobt, glaubt dennoch, dass der Austritt aus der Bäckerinnung finanzielle Gründe hat. Und das sei letztlich halt Tarifflucht, die ihre Ursache in der Betriebsratsgründung habe.

Zugleich räumt Stockfisch ein, dass Brunner viele Leute zum Zeitpunkt des Innungsaustritts über Tarif gezahlt habe. Der Lohn liegt in der Stunde für einen ausgelernten Bäcker bei 15,45 Euro und bei einer Verkäuferin bei 13,67 Euro. Aber 2022 habe es eine Erhöhung gegeben. Manche Brunner-Leute lägen daher inzwischen wieder unter Tarif. Ferner seien auch Fachkräfte als Minijobber tätig.

Der Bäckermeister macht eine andere Rechnung auf. Gesellen bekämen je nach Verantwortungsbereich zwischen 15 und 19 Euro die Stunde, Lehrlinge im Schnitt 30 bis 35 Prozent über Tarif. Gerade Nachwuchs sei ein in jeder Hinsicht ein kostbares Gut. "Deutschlandweit gab es 2018 noch 17.000 Lehrlinge im Bäckerhandwerk, jetzt sind es unter 10.000."

Unter anderem deswegen hätten 2022 rund 1000 Bäckereien dichtgemacht. Die Ursachen: keine Verkäufer auf dem Markt, Inflation, hohe Energiepreise, Konkurrenz durch Discounter. "Erst kürzlich hat mich ein Kollege unterhalb von Regensburg gefragt, ob ich ihn nicht beliefern könnte. Er kann das einfach alles nicht mehr bezahlen," erzählt Brunner. Er selbst habe die Preise anheben müssen, nicht zuletzt weil Rohstoffe extrem teuer geworden seien. "Ein Kilo Hefe hat immer 65 Cent gekostet, heute sind es 1,70 Euro. Und wir brauchen im Jahr 50 Tonnen."

Viele Zusatzleistungen

Nach jeder Preiserhöhung bleiben Kunden weg, aber die Steigerungen habe er auch an die Beschäftigten weitergegeben. Überdies gebe es eine Mitarbeiter-Karte, die mit 25 Euro jeden Monat zum Einkauf aufgeladen werde. "Wenn das verbraucht ist, geht der Mitarbeiterrabatt mit 37,5 Prozent los." Dazu kämen betriebliche Altersversorgung, flexible Teilzeit, kostenlose Hochzeitstorten, wenn ein Mitarbeiter heirate und 500 Euro Kopfprämie für einen neuen Kollegen sowie 100 Prozent Zuschlag im Verkauf am Sonntag und auf Wunsch Weiterbildungen. Warum wollten die Beschäftigten dann aber vor zwei Jahren unbedingt einen Betriebsrat? Und warum unter Widerständen? "Wir gehen familiär miteinander um. Wenn einer was braucht, kommt er zu mir", sagt Brunner. Auf Arbeitnehmerseite klingt es ebenfalls zahm. "Es ist klar, dass der Chef nicht vor Freude an die Decke springt, als wir uns zusammengefunden haben", sagt stellvertretender Betriebsratsvorsitzender Sebastian Seidl. "Welcher Arbeitgeber will das schon? Er ist halt die Familienstruktur gewohnt", ergänzt Vorsitzende Barbara Neugirg.

Beim Thema Mindestlohn widersprechen beide NNG-Mann Stockfisch. Neugirg: "Die Aussage vom 1. Mai entspricht nicht der Wahrheit, bei uns wird mehr bezahlt."

Brunner betont, dass die Personalkosten inzwischen die Hälfte des Jahresumsatzes ausmachen. Wie hoch der liegt, will er nicht verraten. "Gottseidank habe ich noch alte Energielieferverträge beim Gas, aber irgendwann laufen auch die aus." Drei Millionen Kilowattstunden Gas verbraucht die Bäckerei im Gewerbegebiet am Forst pro Jahr. Das entspricht in etwa dem Konsum von 140 Einfamilienhäusern.

Hoher Krankenstand

Dem Fachkräftemangel ist allein mit Geld kaum beizukommen. Nachtarbeit beim Backen, samstags Verkauf bis 20 Uhr - all das macht den Beruf nicht gerade sexy. "Vier bis sechs Filialen haben wir daher geschlossen und Öffnungszeiten gekürzt, je nach Krankenstand", erklärt Sophie Brunner. Die 24-Jährige hat gerade ihr Studium als Wirtschaftsingenieurin in Regensburg abgeschlossen und zuvor schon als Werkstudentin mitgearbeitet. Sie übernimmt nach und nach mehr Verantwortung. Die Juniorchefin verkauft auch im Laden, zurzeit in Etzenricht. "Es war keine leichte Entscheidung, in den Betrieb zu gehen, aber ich habe es schon als Kind erlebt, es gefällt mir."

Handwerk im klassischen Sinne, Plausch mit Kunden - so etwas macht den Beruf für die Betriebsräte Neugirg und Seidl interessant.

Der Generation Instagram ist das aber nur schwer zu vermitteln. Ein Musterbeispiel, wie hart das Brot für die Zunft inzwischen geworden ist, steht in Weiden in der Weißenburger Straße. Dort hat direkt neben dem NOC 1986 eine Brunner-Filiale samt Café eröffnet. 2018 wurde sie komplett renoviert, doch seit einem Jahr bleibt die Tür zu. Kein Personal. "Wir mussten abwägen, entweder dort oder im Markthaus schließen," sagt Gerhard Brunner. Somit fiel die Entscheidung zugunsten des Oberen Marktes. "Und in der Weißenburger Straße hab ich vorher einen Zehnjahres-Mietvertrag unterschrieben."

Hintergrund:

Die Bäckerei-Brunner in Zahlen

  • 730 Beschäftigte
  • 86 Filialen
  • 30.000 Brezen pro Tag
  • 25.000 Rosensemmeln pro Tag
  • 3000 Steinofenbrote pro Tag
  • Neue Trends: hellere Backwaren, Dinkel, veganes Gebäck
 
 

Kommentare

Um Kommentare verfassen zu können, müssen Sie sich anmelden.

Bitte beachten Sie unsere Nutzungsregeln.