Das Amt für Ländliche Entwicklung (ALE) in Tirschenreuth ist ein Pionier. Erstmals in Bayern zog eine komplette Behörde um. Bei den Mitarbeitern löste es naturgemäß wenig Freude aus, täglich drei Stunden auf der Straße zu verbringen oder den Wohnort zu wechseln. Doch inzwischen sind die Wunden verheilt, der Neustart ist geglückt.
"Der Umzug war das Beste überhaupt", zieht Miriam Kunze (37) eine ganz persönliche Bilanz. Als die Regensburgerin in ihrer Heimatstadt 2011 in der Poststelle der Behörde anfing, war schon klar, dass die Reise nach Tirschenreuth gehen würde. Mit ihrem Mann Daniel, der aus Jena stammt und schon damals Hausmeister im ALE war, wagte die Bürokauffrau den Schritt ins Stiftland. Beide sind nie zuvor hier gewesen. "Nach zwei Wochen sagten wir, wir gehen nicht mehr nach Regensburg", sagt Miriam lachend und bezeichnet den Zustand als "schockverliebt."
Umzug nie bereut
"Die Leute waren total offen. Auch eine Wohnung haben wir schnell gefunden." Miriam war beim Umzug schon schwanger mit ihrer Tochter, die im Dezember 2013 geboren wurde. Danach arbeitete sie im Abteilungsleiter-Vorzimmer, bis sich 2018 Zwillinge ankündigten. Mit ihrer heutigen 30-Stunden-Stelle, wo sie unter anderem Förderanträge für Kleinstunternehmen bearbeitet, fühlt sie sich beruflich richtig wohl, erzählt sie. Auch für die Kinder sei das Umfeld in Tirschenreuth optimal.
"Nur mit den Ärzten ist es manchmal schwierig", spricht die 37-Jährige ein bekanntes Versorgungsproblem an. Regensburg vermisst sie dennoch nicht. "Was wir hier in der Umgebung von Tirschenreuth oder Weiden haben, reicht mir. Ich brauche nicht jeden Tag ein anderes Restaurant."
Auch ihr Mann Daniel Kunze (47) hat den Umzug nicht bereut. "Eine Umstellung war es natürlich schon von der Groß- in die Kleinstadt", sagt der Thüringer. "Aber wir sind gut aufgenommen worden und haben hier alles." Den Widerstand mancher Kollegen gegen die Ämterverlagerung versteht das Paar. "Viele hatten sich mit Haus und Kindern ja schon ein Leben aufgebaut", sagt Miriam Kunze. Aber manche hätten Tirschenreuth auch schlechtgeredet, ohne die Stadt zu kennen.
Dass die Behörde viele erfahrene Kollegen durch den Umzug verloren hat, will Amtsleiter Kurt Hillinger gar nicht verschweigen. "Es gab 30 Kündigungen und Versetzungsanträge. Und 88 Kollegen haben Altersteilzeit in Anspruch genommen", blickt der 61-Jährige zurück. Er war als Personalchef der Regensburger Behörde mit dem Thema Verlagerung voll konfrontiert. Schlecht gelaufen sei, dass die Mitarbeiter die Pläne aus der Zeitung erfuhren: "Das hätte man geschickter anfangen können."
Auch Kritiker integriert
Nach jahrelangem politischen Hin und Her kam es 2012 zum Baubeginn in Tirschenreuth. "Das Thema war eigentlich durch, als wir 2013 hier angekommen sind", zieht Hillinger Bilanz. Inzwischen habe sich auch so mancher scharfe Kritiker der Verlagerung bestens integriert im Landkreis.
Auch der personelle Aderlass sei aufgefangen worden, mit vielen Kräften gerade aus der Nordoberpfalz. Das Amt sei attraktiver Arbeitgeber für Schulabgänger aller Art. "Mit dem Dualen Studium ziehen wir uns den eigenen Nachwuchs", verweist der Amtschef auf den OTH-Studiengang Geoinformatik und Landmanagement. Mit 143 Mitarbeitern ist man nicht weit von der Sollstärke 150 entfernt.
Personalratsvorsitzende in Tirschenreuth ist heute eine Konnersreutherin. Stefanie Bernau, seit 2021 dabei, freut sich über die junge Belegschaft: "Das hat auch mit der Verlagerung zu tun." 2013 betrug der Altersdurchschnitt 46,7 Jahre, heute sind es 41,5 Jahre. Der Frauenanteil ist in zehn Jahren von 27 auf stattliche 44 Prozent gestiegen. Das könnte auch an den sehr flexiblen Arbeitszeiten liegen: Derzeit gibt es 31 Teilzeitmodelle.
Pendelbus Auslaufmodell
Das ALE ist in Sachen Homeoffice ebenfalls ein Pionier. Um den Mitarbeitern Fahrten zu ersparen, durfte jeder von Anfang an einen Tag in der Woche von zu Hause aus arbeiten. Heute beträgt das Homeoffice-Angebot 60 Prozent, was aber von den wenigsten voll ausgeschöpft wird. Ein Auslaufmodell ist der kleine Pendelbus, der 2013 eingeführt wurde: Saßen anfangs im Schnitt fünf Mitarbeiter früh und abends drin, waren es zuletzt höchstens zwei. Täglich oder am Wochenende pendeln nur noch 23 der 143 Beschäftigten.
Ist das ALE Tirschenreuth ein Erfolgsmodell? "Ja", bekräftigt Kurt Hillinger den Ansatz, als Dienstleister für die Menschen im ländlichen Raum auch genau dort vor Ort zu sein. "Der Umzug war fachlich richtig." Das Amt entwickle sich immer mehr weg von der reinen Bodenordnung für die Land- und Forstwirtschaft zum Dienstleister mit vielen Projekten.
Als Beispiele nennt er Initiativen wie "Bodenständig" zum Schutz von Boden und Gewässern, "Innen statt außen" zur Vermeidung von Flächenverbrauch und Leerstand sowie die vielen kleinen "Heimatunternehmen". Sie reichen vom Zauberertheater in Bärnau über die Tirschenreuther Kaffeedruckerei, vom Kunst-Badehaus in Maiersreuth bis zum Dorfladen in Mähring und zum Coworking-Space in Kemnath. "Wir versuchen, aktive Leute mit Ideen zusammenzubringen und Wertschöpfung in die Region zu holen."
Das Amt sieht sich als Partner der Kommunen jenseits der Ballungsräume. Erfreut stellt Kurt Hillinger ein gestiegenes Selbstbewusstsein bei den Menschen in der Oberpfalz fest. "Vor zehn Jahren standen noch mehr die Probleme im Vordergrund. Heute sind die Leute entspannter."
Entspannt sollen auch die Besucher beim Tag der offenen Tür sein, den das Amt für Ländliche Entwicklung am 18. Juni von 10 bis 16 Uhr anbietet. Zum zehnten Geburtstag präsentieren die Mitarbeiter ein buntes Programm und wollen zeigen, welchen Nutzen die Behörde bietet. Auch sperrig klingende Themen wie Kernwegenetz sollen ansprechend aufbereitet werden. Heimatunternehmer präsentieren sich und ihre Ideen.
Geschichte der Ämterverlagerung
- 2004:Ministerrat beschließt, wichtige Behörde in den Norden der Oberpfalz zu verlagern.
- 2005: Mitarbeiter der Direktion für Ländliche Entwicklung in Regensburg erfahren von Umzugsplänen nach Tirschenreuth.
- 2008: Bayerischer Oberster Rechnungshof legt Abrücken von Verlagerung wegen hoher Kosten, Belastungen für Pendler und Umwelt nahe; Kreistag Tirschenreuth reagiert mit empörter Resolution.
- 2009: Proteste der Mitarbeiter halten an; Ministerpräsident Horst Seehofer bekräftigt Umzugsbeschluss.
- 2011: symbolischer Spatenstich auf dem Bahnhofsareal am 4. Oktober
- 2013: erster Arbeitstag in Tirschenreuth am 3. Juni, Einweihung am 11. Juli
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