Der Kranführer erschrickt: Im Greifer schlenkern Arme und Beine. Ist er im neuesten Krimi von Fabian Borkner gelandet oder liegt eine echte Leiche im Bunker des Schwandorfer Müllkraftwerks? In "Todessteign", dem neuen Buch des Schwanorfer Autors, versucht nämlich jemand, ein Mordopfer dort auf ewig verschwinden zu lassen.
Zurück in die Realität: Der Direktor des Zweckverbandes Müllverwertung Schwandorf (ZMS), Thomas Knoll, schmunzelt beim Gespräch mit Oberpfalz-Medien über diese Aufregung, die sich als Fehlalarm herausstellt: Arme und Beine gehörten einer lebensechten Puppe
Der zweite Leichen-Fehlalarm im Müllkraftwerk liegt etwas länger zurück: Der Schreck stellt sich bei der Entschrottung, der Schlackeaufbereitung, ein: Da liegt ein Hüftgelenk. "Wenn hinten ein Hüftgelenk rauskommt, muss vorne eine Leiche reingekommen sein." Diese Schlussfolgerung drängt sich auf. Aber weit gefehlt: Die Seriennummer des Hüftgelenks führt nicht zu einer Person, sondern Thomas Knoll zufolge zu einem Demonstrationsobjekt aus einem Krankenhaus im Landkreis Schwandorf.
Die Polizei rückt dennoch in regelmäßigen Abständen im Müllkraftwerk an. Ganz diskret und ohne viel Tamtam wird beim Leeren von Asservatenkammern Rauschgift in Schwandorf-Dachelhofen vernichtet. Für eine kolumbianische Gastprofessorin ist das eher ein alltäglicher Zwischenfall. Der Verbandsdirektor erzählt die Episode genüsslich und nicht ohne Süffisanz: Eine Frau aus Medellin fragte nach einer Polizeiaktion nach dem Grund. Ihr entspannter Kommentar auf die Antwort: "Ach so, ich dachte was Schlimmes." Genauso diskret lässt der Zoll imitierte Designerkleidung oder lassen Firmen Fehlproduktionen in Rauch aufgehen.
"Bei uns geht nichts verloren"
Nicht immer geht die Rechnung auf, denn manches übersteht das Feuer, mehr oder weniger gezeichnet. Thomas Knoll verlässt sein Büro, kehrt mit zwei Plastikbechern zurück. In dem einen stecken ein Uhrgehäuse, eine Gürtelschnalle, Schlüssel, auch ein Löffel und sogar ein Ring. Das Landesamt für Umweltschutz hat die Schlacke analysiert, erzählt Thomas Knoll. Das Ergebnis lässt er sich auf der Zunge zergehen: "Wir wären die produktivste Goldmine auf der Welt." Er lacht. "Bei uns geht nichts verloren."
Dann schüttet er den zweiten Becher aus. Durch die Hitze lädierte Münzen kullern über den Tisch. Das ist das Ergebnis von 20 Minuten Sortieren per Hand. Denn üblicherweise geht dies automatisch. Hochgerechnet summieren sich die Münzen, die unter anderem in Sesseln oder Möbeln stecken, auf einen Stundentarif, der den Mindestlohn locker toppt.
Welche Summen an Scheinen die Flammen pulverisieren, bleibt ein Geheimnis, außer das US-Schatzamt lässt einmal palettenweise Dollarnoten ans Müllkraftwerk liefern. Hier war offenbar das Sicherheitsmerkmal nicht in Ordnung. Nach groben Schätzungen des Verbandsdirektors wurden so deshalb 30 bis 60 Millionen US-Dollar durch den Kamin gejagt.
Überhaupt das US-Schatzamt: Eine merkwürdige Begebenheit gibt Knoll noch immer Rätsel auf. Zwei Mitarbeiter flogen aus Washington ein, warfen eine, Thomas Knoll schätzt zwei bis drei Kilo schwere Plastiktüte in den Mülltrichter, drehten sich wortlos um und fuhren heim. Der Inhalt der Plastiktüte? Das weiß bis heute keiner.
Mysteriöses Gewebe
Manchmal gelingt es dem Zweckverband, dessen Gebiet von Landshut über die ganze Oberpfalz bis Hof und Kulmbach reicht, aber auch, durch hartnäckiges Nachfragen Geheimnisse zu lüften – bei einem speziellen Gewebe zum Beispiel. Zwei Mal den Flammen vorgeworfen, blieb es praktisch unversehrt. Die Antworten der Firma beschreibt Thomas Knoll als nebulös. Endgültig bizarr wurde die Angelegenheit mit der Aufforderung des Unternehmens, das Material bitte vors Tor zu legen. Es werde abgeholt. Schließlich stellte sich heraus: Es handelte sich um Bezüge für Sitze von Kampfhubschraubern. Auf solchen Wegen kommt ans Licht, "was es für Firmen im Verbandsgebiet gibt".
Als harmlose Überraschung entpuppte sich dagegen der Inhalt eines schweren, großen Koffers in der Sperrmüllsortieranlage in Bodenwöhr. Er wurde von allen Seiten beäugt. Fest stand, dass er geöffnet werden muss, aber von wem? "Uns war allen mulmig", beschreibt Thomas Knoll die Szene.
Schließlich fasste sich einer ein Herz. Alle anderen hielten gebührenden Abstand. Zum Vorschein kam: Ein Überlebenspaket, bestehend aus nicht abgelaufenen, verpackten Lebensmittel, Seifen und anderen Hygieneartikel. "Da hatte einer einen Fluchtkoffer gepackt", vermutet Knoll.
Müllkraftwerk Schwandorf
- Gebiet: 17 Verbandsmitglieder von Hof bis Landshut, insgesamt etwa 1,9 Millionen Einwohner_
- Mitarbeiter: 250
- Betrieb: 24 Stunden an jedem Tag des Jahres.
- Ofenlinien: vier
- Verbrennung: Der Müll wird bei Temperaturen zwischen 850 und 1000 Grad Celsius verbrannt.
- Menge: In der Ofenlinie 4 werden etwa 23,2 Tonnen Müll pro Stunde, in den Ofenlinien 1 bis 3 je rund 12,5 Tonnen Müll pro Stunde verbrannt. Insgesamt wurden im vergangenen Jahr knapp 467.000 Tonnen durchgesetzt.
- Schlacke: Die Schlacke wird abgekühlt und abtransportiert. Durch Magnete werden Eisenteile aussortiert. (Quelle: Zweckverband Müllverwertung Schwandorf)
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