Tagelang spielten meine Schwester und ich mit der Krippe, die für uns gut zu erreichen auf einem Eck der Eckbank am Esstisch stand. Wir griffen mit unseren Patschehänden nach den Holzfiguren und den Tieren aus Pappmachee. Marias und Josefs Reise nach Bethlehem führte vorbei an einem Kalender, am Radio, am Fenster, unter dem Vorhang hindurch bis zum Stall. Weil die heilige Familie und die zwei Hirtenkinder recht kompakt geschnitzt sind, ist ihnen bei ihren Touren kaum etwas passiert. Ganz anders die Tiere. Keines hat unsere Kindheit unbeschadet überstanden. Mehrfach überlegten die Eltern, sich neue Tiere zuzulegen. Wir Kinder protestierten. Gekauft haben sie nichts.
Unsere Mama stellt die Krippe immer noch jedes Jahr an der Eckbank auf. Aber egal, wie sie Figuren und Tieren arrangiert - in den Augen meiner Schwester und mir erscheint es jedes Mal falsch. Wir rücken den Ochs zur Seite, lassen den Esel etwas näher an die Krippe herantreten, verrutschen den Hirtenjungen. Immerhin: Der Esel kann jetzt wieder hören, heuer hat ihm Mama neue Ohren gebastelt. Er sieht damit für mich ganz ungewohnt aus.
Eltern und Oma hat es immer gefreut, dass wir mit der Krippe spielten wie mit einem Puppenhaus. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir bei Unfällen geschimpft worden wären, obwohl es etliche davon gab. Zumindest glaubten das meine Schwester und ich bis heute. Doch nun haben wir erfahren: Wir haben die Tiere gar nicht beschädigt - sie stammen aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Schon bevor wir mit ihnen spielten, waren sie kaputt. Dass wir gar nicht die Übeltäter waren, geht nur schwer in unsere Köpfe.
Der "OTon"
In der Kolumne „OTon“ schreiben junge Mitarbeiter von Oberpfalz-Medien über das, was ihnen im Alltag begegnet. Dabei geht es weniger um fundierte Fakten, wie sie die jungen Leute tagtäglich für die Leser aufbereiten, sondern um ganz persönliche Geschichten und Meinungen.
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