Wer Dialekt und Schriftsprache beherrscht, zwischen beiden „switchen“ kann, hat sogar noch Vorteile, meint Dialektforscher Dr. Ludwig Schießl aus Oberviechtach.
ONETZ: Eine Statista-Umfrage hat ergeben, dass Bayerisch zu den beliebtesten Dialekten gehört. Eine andere Erhebung erbrachte genau das Gegenteil. Wie erklären Sie sich als Dialektpfleger diesen Widerspruch?
Ludwig Schießl: In dieser Aussage steckt bereits ein Fehler, denn „Bayerisch“ als Bezeichnung für einen Dialekt existiert nicht. Entweder man spricht von den „bayerischen Dialekten“ und meint damit Bairisch, Schwäbisch-Alemannisch, Ostfränkisch, Rheinfränkisch-Hessisch und Thüringisch oder man fokussiert sich nur auf das „Bairische“ (= Nord-, Mittel-, Südbairisch). Man unterscheidet in der Schreibung zwischen der geographisch- administrativen Bezeichnung (bayerisch) und der dialektalen (bairisch). Wie wir wissen, stellen Umfragen zum einen Momentaufnahmen dar und spiegeln zum anderen die Art, Herkunft und Zahl der befragten Probanden wider. Von daher sind Umfragen zur Beliebtheit eines Dialekts mit Vorsicht zu genießen. Außerdem müsste erst definiert werden, was mit „Beliebtheit“ genau meint.
ONETZ: Selbst Grundschüler reden mittlerweile exaktes Schriftdeutsch. In großen Konzernen mit internationalen Belegschaften ist meist Englisch Firmensprache. Selbst in Oberpfälzer Standorten kommt Personal aus allen Ecken der Republik. Ist die Zeit des Dialekts in Firmen vorbei?
Ludwig Schießl: Die Zeit des Dialekts in Firmen sollte mitnichten vorbei sein, wenn dort das Ideal der inneren und äußeren Mehrsprachigkeit praktiziert wird.
ONETZ: Können Sie das näher erläutern?
Ludwig Schießl: Innere Mehrsprachigkeit meint nichts anderes als die Fähigkeit eines Menschen, innerhalb seiner eigenen Muttersprache zwischen Dialekt und Standardsprache, zwischen Fach- und Umgangssprache, zwischen lockerem und sachlichem Stil wechseln zu können.
Äußere Mehrsprachigkeit wird in Abgrenzung zur inneren Mehrsprachigkeit definiert und bezieht sich auf die Beherrschung mehrerer Sprachen im Gegensatz zur Kompetenz in verschiedenen Varietäten einer Sprache.
ONETZ: In manchen Firmen ist Dialekt nicht willkommen. Müssen Dialekt-Sprechende mit Nachteilen in der Karriere rechnen?
Ludwig Schießl: Sie werden wohl dann mit Nachteilen rechnen müssen, wenn es ihnen nicht gelingt, bei den entsprechenden Anlässen im Sinne des Code-Switching situations- und themenbezogen von einem Idiom in das andere umzuschalten. Dies gilt aber für jegliche Anforderungen, die in einem Unternehmen per definitionem an die Mitarbeiter gestellt werden und die diesen von Anfang an bekannt sein sollten. Dies hat mit Diskriminierung nichts zu tun, sondern mit Schlüsselqualifikationen.
ONETZ: Nehmen wir folgenden Fall an: Ich spreche ausgeprägte Mundart, Schriftdeutsch fällt mir schwer, ich will mich bei einem bundesweit aktiven Call-Center-Betreiber bewerben. Habe ich eine Chance?
Ludwig Schießl: Das kann ich nicht beurteilen, denn es hängt von der Art, der Zielsetzung und dem Selbstverständnis des Call-Centers ab.
ONETZ: Bayern, die Dialekt sprechen, gelten nördlich des Weißwurstäquators als geistig eher unterdurchschnittlich … Was halten Sie von dieser Ansicht?
Ludwig Schießl: Diese abstruse und unglaublich generalisierende Ansicht wird allein schon durch die Ergebnisse der PISA-Studien widerlegt, bei denen Bayern und Sachsen stets die Nase vorne haben. Intelligenz an einer Sprache/Sprachvarietät festzumachen, zeugt nicht gerade von großer Intelligenz. Im Übrigen verweise ich in diesem Zusammenhang auf die neuesten Ergebnisse der Hirnforschung und Spracherwerbsforschung.
ONETZ: Wie sehen diese aus?
Ludwig Schießl: Es spricht vieles dafür, dass die sprachliche, kognitive und soziale Entwicklung von Kindern durch eine mehrsprachige Erziehung positiv beeinflusst wird, und zwar in Form eines ausgeprägten Sprachbewusstseins. Es herrscht auch die Meinung vor, dass frühe innere und äußere Mehrsprachigkeit aus neurophysiologischer Sicht Vorteile mit sich bringt: Kinder, die im Vorschulalter zweisprachig aufwachsen, bilden nur ein neuronales Netz aus, in das beide Sprachen integriert werden.
ONETZ: Wenn jemand ausgeprägten Dialekt spricht, aber im Beruf schriftdeutsche Aussprache benötigt – wie kann man diese Zweisprachigkeit erlernen?
Ludwig Schießl: Indem man sie übt und/bzw. entsprechende Kurse besucht.
ONETZ: Wie verhalte ich mich, wenn mein Gesprächspartner meinen Dialekt nicht versteht?
Ludwig Schießl: Dann spreche ich Standarddeutsch, Englisch, Französisch etc. mit ihm.
ONETZ: Gibt es auf der anderen Seite auch Situationen, in denen Dialekt eher den Kontakt untereinander fördert?
Ludwig Schießl: Es ist eine bekannte Tatsache, dass Dialekt Vertrautheit, Geborgenheit, Heimatgefühl, Identifikation etc. hervorruft und damit als emotionales Bindeglied fungiert.
Beitrag "Wer mit Dialekt aufwächst, tut sich leichter" auf nordbayern.de
Dr. Ludwig Schießl
Dr. Ludwig Schießl M. A. ist pensionierter Gymnasiallehrer aus Oberviechtach im Landkreis Schwandorf. Dort ist er vielfältig kulturell engagiert: Im Heimatkundlichen Arbeitskreis Oberviechtach e. V. ist er 1. Vorsitzender, und im Museumsverein Oberviechtach e. V., der die Stadt Oberviechtach beim Betrieb und der Weiterentwicklung des Doktor-Eisenbarth- und Stadtmuseums unterstützt, wirkt er als 2. Vorsitzender. Mit Dialekt beschäftigt sich Dr. Ludwig Schießl intensiv seit 1996. In jenem Jahr rief er im Heimatkundlichen Arbeitskreis das sogenannte „Oberviechtacher Dialektprojekt“ mit dem Ziel der Erstellung eines „Oberviechtacher Wörterbuchs“ ins Leben. Daraus entwickelten sich umfangreiche gesellschaftliche und schulische Aktivitäten im Bereich der Dialektforschung und -pflege. Gemeinsam mit Siegfried Bräuer gab Dr. Schießl 2012 das Werk „Dialektpflege in Bayern. Eine Einführung zu Theorie und Praxis“ heraus.
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