Winnetou auf dem Rückzug: Kinderfasching im Landkreis Schwandorf mit neuen Idolen

Nabburg
17.02.2023 - 17:56 Uhr
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Fransenhemd und Federschmuck bleiben heuer beim Kinderfasching meist im Schrank: Winnetou hat seinen Glanz verloren. Schlägt die Debatte über kulturelle Aneignung bis in die Kindergärten durch? Oberpfalz-Medien hat nachgefragt.

Vor vier Jahren hat die Empfehlung einer Hamburger Kindertagesstätte bundesweit für Schlagzeilen gesorgt: Dort wollte man weder kleine Indianer noch Mini-Scheichs beim Fasching sehen. Es wurde argumentiert, man wolle ohne rassistische oder stereotype Kostüme feiern. Inzwischen ist die Debatte ums "korrekte" Kostüm auch auf dem Land angekommen. Es geht ums den Spaß, die Tradition und kulturelle Aneignung.

Beim Kinderfasching in Oberviechtach tummeln sich fast keine Häuptlinge und Squaws mehr auf der Tanzfläche. "Das fällt auf", sagt Michael Welnhofer, Präsident der AWO-Tanzgruppe Grün-Weiß. Mit den Indianern bleiben aber auch die Cowboys aus. "Früher hat sich jeder zweite Bub als Cowboy verkleidet", erinnert sich Welnhofer. Und noch etwas ist ihm bei den ersten Veranstaltungen für Kinder nach der Corona-Pause aufgefallen: "Es wird weniger rumgeballert." Liegt das am Munitionsmangel auch bei Spielzeugwaffen oder wirft hier der Ukraine-Krieg seinen Schatten? "Da fragt man nicht nach", meint Welnhofer. "Als Faschingsverein mischt man sich nicht ein in die Kostüm-Wahl, wir wollen einfach nur Frohsinn verbreiten." Notorische Kritiker gebe es immer. "Was ist, wenn sich einer als Landwirt oder Fensterputzer verkleidet, werden diese Berufsgruppen dann diskriminiert?", fragt sich Welnhofer und fügt hinzu: "Diese Diskussion will ich gar nicht führen." Eine Grenze gibt es aber doch für ihn: rechtsradikale Symbole. "Ansonsten halten wir uns total raus", stellt er klar.

Ein "Hausverbot" für Winnetou: Das kommt auch für Gerlinde Graja, Präsidentin der Nabburger Faschingsgesellschaft nicht infrage. "Alle dürfen kommen, wie sie wollen, da gibt es keine Vorschriften", betont sie. Absurd finde sie diese Rassismus-Debatte, und vielen ihrer Kollegen gehe es ähnlich. Was sei schon dabei, wenn ein Kind inspiriert durch die Kika-Serie "Yakari" in die Rolle des Siouxs mit seinem Pony "Kleiner Donner" schlüpfen wolle.

Korrekt kontra lustig

"Sich als Indianer zu verkleiden, das ist doch kein Rassismus", verteidigt Graja ihren Standpunkt und verweist auf weitere Kostüme, die bei genauerer Betrachtung ebenfalls Kritik auf sich ziehen könnten: "Was ist mit Eskimos, was mit Ninja-Kämpfern? Und darf dann Afrika mit Leoparden-Look künftig kein Tanz-Thema mehr sein?", zeigt sie die Konsequenzen einer ausufernden Korrektheitsdebatte auf. "Jeder soll sich verkleiden dürfen, wozu er Lust hat", meint die Nabburger Faschingspräsidentin.

Sehr wohl mitlaufen dürfen die Vertreter aus dem Wilden Westen auch beim Stullner Faschingszug. "Ich habe mich früher auch als Indianer verkleidet und diese Kultur geliebt", schwärmt Organisator Andreas Hanff vom TSV Stulln und versteht diese Kostüm-Wahl eher als "Hommage an eine Volksgruppe". "Wer glaubt, dass das Rassismus ist, der hat selber ein Problem", macht er aus seiner Überzeugung keinen Hehl.

"Stellen wir jetzt alles infrage?", wundert sich Christine Lippert, Leiterin des Kinderhauses St. Anna in Wernberg-Köblitz auch angesichts der Diskussion um den Chinesen-Fasching in Dietfurt. Sie findet die Kritik an solchen Verkleidungen übertrieben: "Das lenkt doch ab von den wichtigen Fragen." Für sie drückt sich gerade in der gewählten Verkleidung eine Wertschätzung des Dargestellten aus. "Ich will nur keine Waffen", zieht sie eine Grenze, "die sind zum Töten da und machen Angst".

Eine Frage des Geschmacks

Alles andere überlasse sie "dem guten Geschmack der Eltern". Sie hat dabei aber auch Verständnis für ein Kind, das im Fasching in eine gruselige Rolle schlüpfen will. "Gerade weil ein Kind Angst hat, kann es eine starke Figur wählen", erklärt sie aus pädagogischer Sicht. "Ist es dann auch diskriminierend, wenn sich jemand als alte Frau verkleidet?", denkt sie einen Schritt weiter und sieht auch schon den "bösen Wolf" in Bedrängnis. Im Pfreimder Kindergarten St. Martin dominiert der Themen-Fasching: Es geht um Märchen, da passt ein Indianer ohnehin nicht ins Konzept.

"Aber, mal ganz ehrlich, wir demütigen doch niemanden durch eine Verkleidung als Indianer", ist Kindergarten-Leiterin Gabi Schönberger überzeugt. Sie glaubt aber auch, dass die Eltern inzwischen für das Thema sensibilisiert sind. Der alleinige Grund für den Rückzug des Wilden Westens aus der Faschingswelt sei das aber keineswegs. "Für uns war damals Winnetou das höchste", vergleicht sie, "jetzt sind andere Fernsehsendungen viel interessanter ." Das hat Folgen: Die Kleinen kommen inzwischen lieber als "Bob, der Baumeister", als Harry Potter, Batman, Spiderman oder als Eiskönigin Elsa. Und wenn schon einer gern den starken Mann spielen will, dann lieber als Polizist, Pirat oder Feuerwehrmann. Außerdem: Die Jahre ohne Faschingstrubel haben Spuren hinterlassen. "Viele Kinder wissen gar nicht so recht, was Fasching ist", hat der Oberviechtacher FG-Präsident Welnhofer beobachtet. "Man merkt das, weil sie die Polonaise verlernt haben."

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Dietfurt an der Altmühl09.02.2023
Hintergrund:

Ein Klassiker in der Kritik

  • Indianer: Sammelbezeichnung für Angehörige verschiedener indigener Völker Amerikas, geht auf einen Irrtum von Christoph Kolumbus zurück, der sich bei der Entdeckung Amerikas in Indien wähnte; gilt als Fremdbezeichnung heute vielen Deutschen als kolonialistisch; empfohlen wird als Sammelbegriff "Indigene"
  • Der Auslöser: Kinofilm "Der junge Häuptling Winnetou" und Begleitbücher des Ravensburger Verlags, die im Sommer 2022 nach heftiger Debatte zurückgezogen wurden
  • Der Vorwurf: kulturelle Aneignung (Übernahme von Ausdrucksformen aus einer anderen Kultur in stereotyper Weise, gegen deren Willen und nicht auf Augenhöhe) und Rassismus (grenzt Menschen aufgrund äußerlicher Merkmale oder negativer Fremdzuschreibungen aus); problematischer Hintergrund durch Kolonialisierung Nord-und Südamerikas mit brutaler Vernichtung großer Teile der indigenen Völker; Federschmuck und Gesichtsbemalung durch andere Kulturen gelten als respektlos
  • Die Verteidigung: Rollenklischee werden im Fasching bewusst eingesetzt. „Wer sich ein Kostüm überzieht und in eine fremde Rolle schlüpft, der macht das mit Selbstironie. Genau diese Eigenschaft – über sich selbst lachen zu können – ist eine Kultur, die so etwas wie Diskriminierung und Exklusion verhütet“ (Philosophie-Professor Martin Brooms im Kölner Stadtanzeiger)
 
 

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