KZ-Gedenkstätte Flossenbürg winkt Preis für digitales Lernprojekt

Flossenbürg
04.05.2023 - 09:29 Uhr
OnetzPlus

Die KZ-Gedenkstätte ist mit ihrer Online-Plattform "Keeping Memories" für einen Grimme-Preis nominiert. Jeder kann dafür abstimmen. Dahinter steckt ein Aha-Effekt, mit dem Einzelschicksale zeitgemäß erzählt werden.

Kaum mehr ein junger Mensch hat die Möglichkeit, Holocaust-Überlebende persönlich kennenzulernen. Mit einer Lernplattform macht die KZ-Gedenkstätte Flossenbürg deren Schicksale aber emotional und informativ begreifbar.

Sätze wie "Die Pandemie hatte auch ihr Gutes" sind schnell dahingesagt und drücken die Sehnsucht aus, dass sich die Welt ruhig mal etwas langsamer drehen sollte. Richtig gut an einem Virus ist eigentlich gar nichts. Doch ausgerechnet während des Coronasommers 2020 entwickelt die KZ-Gedenkstätte Flossenbürg ein neues Digitalformat, dass sich als bahnbrechend herausstellt.

Die virtuelle Plattform "Keeping Memories" (KM), die in jenen Lockdown-Monaten und danach entstand, ist nun für den Grimme-Preis in der Sparte Digitales nominiert. Der Grimme-Preis wird gern als renommiertester deutscher Medienpreis bezeichnet. Womit haben es die Flossenbürger in die Endauswahl geschafft?

"Keeping Memories" ist eine Onlinepräsenz, die sechs Lebensgeschichten von ehemaligen KZ-Häftlingen erzählt - vor, während und nach der Zeit im Lager. Dazu werden jede Menge Quellen bereitgestellt.

Das allein ist nicht neu, wohl aber der Ansatz, erklärt Projektleiter Julius Scharnetzky: "In unseren Workshops über mehrere Monate waren zwölf junge Leute von verschiedenen Universitäten und aus dem Kepler-Gymnasium als Repräsentanten der Zielgruppe dabei. Wir wollten mit ihnen herausfinden: Wie würdet ihr gerne lernen? Und wie können wir euch überzeugen?"

Zeitzeugen per Tiktok

Die Gedenkstätte setzt dabei nicht auf gewollt jugendliche Tiktok-Optik, nutzt aber die Bandbreite virtueller Medien weidlich aus. Und über Tiktok und Instagram wird KM trotzdem ausgespielt. Blitzschnell sind Links geteilt, mehrere Schülerinnen und Schüler können gemeinsam zur gleichen Zeit an einem Projekt arbeiten und müssen nicht erst in Papierstapeln und Ordnern wühlen. Fotos, Audiodateien, Videos, Akten von der Verhaftung, Vernehmungsprotokolle, Zeichnungen von der Zwangsarbeit: Die Vielfalt macht die Quellenforschung spannend. Mosaikartig können sich Schüler oder Studenten so Häftlingsbiografien erschließen und vergleichen, wie sich die Lebenswege nach der Befreiung entwickelt haben.

Eine Art geistige Landkarte, neudeutsch Mind Map, zeigt auf den KM-Seiten Punkte, die mit Linien untereinander verknüpft sind. Optisch soll dies dem neuronalen Netzwerk eines menschlichen Gehirns nachempfunden sein. Dieses Netz bildet die Stationen der jeweiligen Häftlingsbiografie.

"Die jungen Leute haben uns signalisiert, dass sie nicht Geschichten vorgelegt bekommen wollen, die sie schon hundertmal gehört haben, sondern dass sie etwas entdecken möchten, dass sie so noch nicht kannten," erklärt Scharnetzky. Daher ist Richard Grune Teil von "Keeping Memories". Ein homosexueller Künstler im Dritten Reich und in der Nachkriegszeit: Solche Schicksale sind in den Augen der Generation Z noch nicht auserzählt. Gleiches gilt für die belarussische Partisanin Galina Stutschinskaja.

"Zeitzeugen sind nicht mehr am Leben, aber sie sind nicht weg", nennt Scharnetzky die Richtschnur für das entdeckende Lernen mittels der Plattform, die auch Material für Lehrer bereithält.

Strenge Auswahl

Der Projektleiter war am Freitag in Köln bei der Bekanntgabe der Grimme-Nominierungen. "Wir wurden von einer Kollegin einer befreundeten Einrichtung vorgeschlagen", freut er sich. Für den Online-Award hat eine Jury aus über 800 Beiträgen 28 Vorschläge angenommen. Am 15. Juni werden acht Gewinner bekanntgegeben. "Keeping Memories" kann ferner den Publikumspreis holen. Jeder kann dafür im Internet seine Stimme abgeben.

Scharnetzky mag über die Erfolgsaussichten nicht spekulieren und sieht das Ganze olympisch. "Allein, dass wir nominiert wurden, ist schon eine tolle Würdigung unserer Arbeit." Die Gedenkstätte entwickelte KM zusammen mit dem Institut für digitales Lernen aus Eichstätt sowie dank Unterstützung des Programms "dive" der Kulturstiftung des Bundes und des bayerischen Kultusministeriums.

Hintergrund:

Online abstimmen für den Grimme-Publikumspreis

 
 

Kommentare

Um Kommentare verfassen zu können, müssen Sie sich anmelden.

Bitte beachten Sie unsere Nutzungsregeln.