Wann darf die Polizei auf Personen schießen? Fälle aus der Oberpfalz

Amberg
06.06.2023 - 18:18 Uhr
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Am Montag starb ein Mann in Ingolstadt, nachdem die Polizei auf ihn geschossen hatte: Gibt es ähnliche Fälle aus der Oberpfalz? Wie oft haben Polizisten hier geschossen? Wann dürfen sie das? Ein Blick auf Zahlen und Fälle aus der Region.

Wie oft haben Oberpfälzer Polizisten in den vergangenen Jahren auf Personen geschossen?

In den vergangenen beiden Jahren benutzten Oberpfälzer Polizisten im Vergleich zu den Jahren zuvor überdurchschnittlich oft gegen Personen: Nämlich, nach Auskunft des Bayerischen Landeskriminalamtes (BLKA), einmal im Jahr 2022 und einmal 2023. In den vier Jahren zuvor hatte kein Polizist in der Oberpfalz auf einen Menschen geschossen.

Was genau ist jeweils passiert?

Am Abend des 28. Juni 2022 hat ein damals 34-Jähriger mehrere Geschwindigkeits-Messgeräte im Amberger Ortsteil Speckmannshof umgetreten. Schließlich schlug er mit einem 3,5-Kilo-Betonbrocken auf die Windschutzscheibe eines Polizeiautos ein. In dieser Situation schoss einer der beiden Polizisten auf den Mann: Einmal vom Fahrersitz aus durch das offene Beifahrerfenster und ein zweites Mal übers Autodach. Der zweite Schuss traf den Angreifer am linken Oberarm. Das BLKA hat die internen Ermittlungen gegen den Polizisten inzwischen eingestellt, der Randalierer stand vor Ende April dieses Jahres vor Gericht. Er war angeklagt wegen Sachbeschädigung, Zerstörung von Arbeitsmitteln, tätlichem Angriff auf einen Polizisten und versuchter gefährlicher Körperverletzung. Weil er bei den Taten schuldunfähig gewesen sei wurde er freigesprochen, aber in einer psychiatrischen Einrichtung untergebracht.

In dem anderen Fall hat ein Polizist Anfang April 2023 in Schnaittenbach (Landkreis Amberg-Sulzbach) auf einen als gewalttätig geltenden Mann geschossen, der zuvor damit gedroht hatte, eine Gasexplosion herbeizuführen. Wie das Polizeipräsidium damals mitteilte, musste ein Beamter seine Schusswaffe einsetzen, als der 57-Jährige in seiner Wohnung in Gewahrsam genommen wurde. Der Mann wurde verletzt in ein Krankenhaus und später in eine Fachklinik gebracht. Die Rechtmäßigkeit dieses Schusswaffengebrauchs wird noch vom BLKA geprüft.

Wann darf die Polizei schießen?

In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung hat Jörg Radek, stellvertretender Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, den Schusswaffengebrauch als "Ultima Ratio" bezeichnet. Die rechtlichen Voraussetzungen für den Schusswaffengebrauch durch Polizisten sind ab Artikel 83 des Bayerischen Polizeiaufgabengesetzes geregelt. Hier wird unterschieden zwischen dem Schusswaffengebrauch gegen Sachen, gegen Personen – und gegen Personen in einer Menschenmenge. Während das Schießen auf Menschen laut einem Sprecher der Oberpfälzer Polizei "die absolute Ausnahme" darstelle, komme das Schießen auf Sachen doch "in gewisser Regelmäßigkeit" vor.

Wie kann man sich den Schusswaffengebrauch "gegen Sachen" vorstellen?

Erst Ende Februar hatte ein Polizist zum Beispiel in Regensburg laut dem damaligen Polizeibericht "aus kurzer Distanz mehrere gezielte Schüsse auf die Reifen" eines Autos abgegeben. Der Fahrer war zuvor durch aggressives Fahrverhalten aufgefallen, wollte mit seinem Auto vor der Polizei flüchten und rammte schließlich zwei Polizeiautos. Mit plattgeschossenen Reifen blieb das Auto stehen, der Fahrer entkam zu Fuß. Er stellte sich am darauffolgenden Tag der Polizei. Fälle wie Schüsse auf einen Autoreifen sind in der Oberpfalz in den vergangenen Jahren laut Polizeisprecher aber eher eine Seltenheit gewesen. Viel häufiger müssen Polizisten "gefährliche, kranke oder verletzte Tiere" – die rein rechtlich auch als Sachen gelten – töten. In der Regel handele es sich hier um verletzte Tiere nach Wildunfällen, so der Polizeisprecher. Polizisten erschossen in der Oberpfalz im Jahr 2020 303 Tiere, im Jahr 2021 328 und im Jahr 2022 334 Tiere. Darüber hinaus wurde kein Schusswaffengebrauch dokumentiert.

Wer ermittelt, nachdem ein Polizist auf einen Menschen geschossen hat?

Das BLKA, genauer das Dezernat 13, zuständig für interne Ermittlungen, prüft laut Polizeisprecher nach einem Schusswaffengebrauch, bei dem eine Person verletzt oder getötet wurde, die Rechtmäßigkeit. Das BLKA ermittelt dann unter Leitung der jeweils zuständigen Staatsanwaltschaft. Jene Staatsanwaltschaft entscheidet nach dem Abschluss der Ermittlungen auch über den Ausgang des Verfahrens. Das Verfahren wird zum Beispiel dann eingestellt, wenn der Schuss nach dem Polizeiaufgabengesetz rechtmäßig war – auch Notwehr oder Nothilfe kommen hierfür als Grund in Betracht.

Was genau steht im Polizeiaufgabengesetz (PAG)?

Dort wird vorgegeben, dass eine Schusswaffe nur dann benutzt werden darf, wenn andere Mittel ohne Erfolg waren oder nicht erfolgsversprechend sind. Bei einem Schusswaffeneinsatz gegen Personen müsse im Vordergrund stehen, diese "angriffs- oder fluchtunfähig zu machen". Polizisten dürfen nur dann auf Menschen schießen, wenn sie damit eine Gefahr "für Leib und Leben" abwehren oder ein unmittelbar bevorstehendes Verbrechen zu verhindern. Unter anderem heißt es im PAG über den Gebrauch von Schusswaffen: "Gegen Personen ist ihr Gebrauch nur zulässig, wenn der Zweck nicht durch Schusswaffengebrauch gegen Sachen erreicht werden kann." Ein Schuss, der wahrscheinlich tödliche Folgen hätte, ist laut PAG dann zulässig, "wenn er das einzige Mittel zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben einer Person ist". Als nicht zulässig wird das Schießen angesehen, "wenn für den Polizeibeamten erkennbar Unbeteiligte mit hoher Wahrscheinlichkeit gefährdet werden" oder eine Person "dem äußeren Eindruck nach" noch keine 14 Jahre alt ist. Einzige Ausnahme: Wenn der Griff zur Pistole "das einzige Mittel zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib und Leben ist". Auf Personen in einer Menschenmenge gilt ein Schuss dann als zulässig, "wenn von ihr oder aus ihr heraus schwerwiegende Gewalttaten begangen werden oder unmittelbar bevorstehen und andere Maßnahmen keinen Erfolg versprechen".

Hintergrund:

Konkrete Fälle von Schusswaffengebrauch der Polizei gegen Menschen

  • Aktueller Fall aus Ingolstadt: Ein 35-Jähriger ist bei einem Polizeieinsatz am Montag tödlich verletzt worden - nach einem Schusswaffengebrauch der Beamten. Das teilte die Polizei am Montagabend mit. Eigentlich wollten Polizisten den Mann einer "medizinischen Behandlung zuführen", schließlich aber habe der Mann einen SEK-Beamten angreifen wollen - und die Situation eskalierte. Die Ermittlungen führt laut Angaben der Polizei das Bayerische Landeskriminalamt unter Leitung der Staatsanwaltschaft Ingolstadt.
  • Der bekannteste Fall aus der Oberpfalz: Bei einem Einsatz in Regensburg 2009 erschoss die Polizei den Studenten Tennessee Eisenberg, der zuvor mit einem Messer auf seinen Mitbewohner losgegangen war - mit zwölf Kugeln. Die Polizei wurde deshalb damals scharf kritisiert.
 
 

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