Der 22. April 1945 war ein Sonntag, trotz des sonnigen Wetters soll es ziemlich kalt gewesen sein. Aus Richtung Hahnbach, entlang der heutigen B 299, rückten die Truppen des 14. Infanterieregiments der 71. US-Infanterie-Division unter Befehl von Lieutenant Colonel Paul G. Guthrie auf die Stadt zu. Schon einen Tag zuvor hatten die Amerikaner das Dorf Raigering eingenommen, diese Soldaten stießen nun über die Raigeringer Höhe ebenfalls in Richtung der Stadt vor.
Über die genauen Umstände der Einnahme der Stadt Amberg durch die Amerikaner gehen die Darstellungen zum Teil weit auseinander. Das liegt unter anderem daran, dass die ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema Nationalsozialismus und Kriegsende in Amberg erst Mitte der 1990er Jahre begann, als viele Zeitzeugen und Akteure bereits verstorben waren oder sich nicht mehr exakt erinnern konnten oder auch wollten.
Grundsätzlich aber gab es an diesem 22. April 1945 für die Stadt Amberg nur zwei Möglichkeiten: bedingungslose Kapitulation oder Zerstörung. Jetzt, am sich inzwischen deutlich abzeichnenden Ende des Zweiten Weltkriegs, verstärkten die Amerikaner ihre ohnehin gängige Strategie, Angriffen auf ihre Truppen mit massivem Einsatz schwerer Waffen zu begegnen. Eigene Soldaten sollten möglichst geschützt werden, deutsche Opfer wurden auch in großer Zahl hingenommen. Entsprechend war die Nachbarstadt Neumarkt einige Tage vorher zerstört worden, weil die US-Truppen beschossen worden waren.
Amerikaner greifen Amberg an
Wie aus den erst vor wenigen Jahren aufgetauchten Unterlagen von Major Samuel Salvatore Campanella hervorgeht, der am Beispiel der Eroberung Ambergs am Ende der 40er Jahre Lehr- und Schulungsmaterial erstellt hat, traten die amerikanischen Truppen am 22. April gegen 18 Uhr zum Angriff auf die Stadt an. Zuvor scheint es zwei Telefonanrufe bei Bürgermeister Sebastian Regler gegeben zu haben mit dem Inhalt, er solle die Stadt kampflos übergeben. Regler, der den an der Front kämpfenden Oberbürgermeister Josef Filbig vertrat, war wohl kein entscheidungsfreudiger Mensch. Er tat erst einmal gar nichts.
Anders verhielt es sich mit der kleinen Widerstandsgruppe um Oberfeldwebel Julian Keppner - dem übrigens im Gegensatz zu Sebastian Regler bis zum heutigen Tag in Amberg keine Straße gewidmet wurde, für den es keine Gedenktafel gibt. Keppner, ein Soldat mit "Heimatschuss", war offiziell für den Aufbau des Volkssturms in Amberg zuständig. Tatsächlich aber ließ der gebürtige Würzburger gemeinsam mit seiner Widerstandsgruppe, der unter anderem Wolfgang Babl senior und junior sowie Josef Kerschensteiner, Fritz Schiller, Erich Zeitler und Ferdinand Diepold angehörten, die Waffen dieses letzten Aufgebots verschwinden.
Mehr über Wolfgang Babl und Julian Keppner
Keppner, ein eher schroffer, laut Wolfgang Babl junior sehr wortkarger Mensch, führte seine Widerstandsgruppe wie eine Armee-Einheit. Jeder wusste nur das, was er unbedingt wissen musste, bei Julian Keppner liefen die Fäden zusammen. Der Plan lautete, beim Heranrücken der Amerikaner auf allen Kirchtürmen der Stadt sowie auf dem Förderturm auf dem Erzberg eine weiße Fahne zu hissen. Wolfgang Babl, dem letzten Überlebenden der Gruppe, damals ein 15-jähriger Ministrant und Hilfsmesner in Hl. Dreifaltigkeit, gelang es aber als einzigem, tatsächlich ein weißes Tuch vom Turm der Dreifaltigkeitskirche zu rollen.
Die Eroberung der Stadt Amberg
Und noch einer entwickelte an diesem letzten Tag des Kriegs für Amberg - gefährliche - Aktivitäten. Der eigentliche politische Kopf der Stadt war zu diesem Zeitpunkt der Kreisleiter der NSDAP, Artur Kolb. Kolb, ein gebürtiger Nürnberger, von Beruf Zahnarzt, Reichstagsabgeordneter sowie fanatischer Nazi, wollte sich mit der drohenden Kapitulation Ambergs nicht abfinden. Als er von den Telefonaten Sebastian Reglers mit den Amerikanern erfuhr, fasste er den Entschluss, eine SS-Einheit zu Hilfe zu holen, die sich bei Pursruck im Wald verschanzt hat.
Kreisleiter will es noch retten
Kolb - der zu diesem Zeitpunkt laut Zeugenaussagen bereits schwer betrunken war - schnappte sich ein Fahrzeug samt Fahrer und ließ sich in Richtung Raigeringer Höhe fahren. Über die weiteren Ereignisse gehen nun die Berichte weit auseinander. Laut offizieller Lesart geriet Kolb dort oben in ein Feuergefecht mit einem amerikanischen Panzerspähwagen, erlitt dabei einen Bauchschuss und wurde von den Amerikanern in Richtung Hirschau abtransportiert, wo er später - wahrscheinlich an einem Kopfschuss - gestorben ist.
Wolfgang Babl hingegen, der zu dieser Zeit die weiße Fahne auf der Dreifaltigkeitskirche gehisst hat, ist sich sicher, dass den Kreisleiter keine amerikanische Kugel getroffen hat. Er schwört bis zum heutigen Tag Stein und Bein, dass es vielmehr Julian Keppner war, der den Kreisleiter zumindest angeschossen hat. Keppner habe ungefähr in Höhe der Oberrealschule (Gregor-Mendel-Gymnasium) in einem Gebüsch gelegen, um seine, Wolfgang Babls, Aktion notfalls mit seinem Gewehr zu schützen.
Keppner, der nach dem Krieg übrigens mehrfach Schützenkönig war, habe den Kreisleiter die Raigeringer Höhe hochfahren sehen und deswegen ein militärisches Eingreifen der Amerikaner befürchten müssen, so Babl. Aus diesem Grund habe er auf diesen geschossen. Aber wie gesagt: Es gibt zwei Versionen der Geschichte mit einem gemeinsamen Ende. Dem Tod des gefürchteten Kreisleiters Dr. Artur Kolb.
Wie sich aus späteren Aufzeichnungen ergibt, betrachteten die amerikanischen Truppen die weiße Fahne an der Dreifaltigkeitskirche tatsächlich als eine Art offizieller Kapitulation der Stadt. Doch Straßensperren und vereinzelte Feuergefechte verlangsamten den Vormarsch. Als es dunkel wurde, war das Rathaus immer noch nicht erreicht, so erinnerte sich später Lieutenant Colonel Paul G. Guthrie. Was er bei seinen Schilderungen „vergaß“ war die Tatsache, dass der erste Panzer, der Amberg von Westen her erreichte, im Vilstor stecken blieb. Es musste der Umweg über die Bahnhofstraße gewählt werden, um zum Rathaus zu gelangen.
Im Rathaus selbst, der Town Hall, wie sie Guthrie später bezeichnete, befanden sich zu diesem Zeitpunkt nur wenige Leute, Bürgermeister Regler mit seinem Stab hatte sich in der Befehlsstelle im Keller des Amtsgerichts am Paulanerplatz eingefunden. Lieutenant Colonel Paul G. Guthrie erinnerte sich später, er sei mit einer Gruppe von Soldaten vom Marktplatz zum Amtsgericht gegangen und habe dort Bürgermeister Sebastian Regler samt Stab in einer Besprechung erwisch. Thema dieses Treffens sei die Frage gewesen, ob die Stadt nun an die Amerikaner übergeben werden solle oder nicht.
„Das plötzliche Eintreffen der Amerikaner verkürzte das Treffen und machte ihnen die Entscheidung leichter, zu kapitulieren“, merkte Guthrie mit Humor später an. Offiziell übergab Regler die Stadt Amberg um 24 Uhr am 22. April und stellte dem Kommandeur des 3. Bataillons eine Kapitulationserklärung mit folgenden Worten aus: „Ich, der Oberbürgermeister, übergebe bedingungslos die Stadt Amberg an die amerikanischen Streitkräfte.“ Der Krieg für Amberg war damit aus.
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