Auf die näheren Umstände gehen wir aus guten Gründen auch hier in diesem Leseranwalt-Beitrag nicht ein. Nur so viel: Ja, es kam Mitte Februar im Stadtgebiet von Weiden zu einem Suizid auf einem Bahngleis. Die Lokalredaktion berichtete nicht darüber. Ein Leser meldete sich tags darauf per Mail und teilte mit, er "vermisse den Artikel über das Geschehen auf der Schiene in Weiden". Der Mann vertrat die Auffassung: "Als Presse haben Sie auch hier die Pflicht, die Öffentlichkeit darüber zu informieren, was geschehen ist. Da kommt aber Ihrerseits gar nichts, nicht einmal ein kurzer klarer Info-Text."
So antwortete ich dem Leser: "Grundsätzlich ist Suizid ein Thema von höchster Sensibilität. Meist wird nicht darüber geschrieben, das ist die Linie unseres Hauses und auch der meisten anderen Zeitungsverlage. Die Redaktionen, die immer wieder mit solchen Geschehnissen konfrontiert werden, machen sich darüber viele und tiefgehende Gedanken und prüfen in der Diskussion mit Kollegen mit größter Sorgsamkeit, ob eine Berichterstattung aus irgendeinem Grund gerechtfertigt wäre. Zu bedenken ist dabei immer auch Folgendes: Es müssen Nachahmungstaten befürchtet werden. Erwiesen ist, dass Menschen, die von Suiziden lesen, dazu neigen, sich ebenfalls das Leben zu nehmen, wenn sie glauben, sich in einer ausweglosen Situation zu befinden.
Wir orientieren uns hier auch am Pressekodex, in dessen ethischen Standards es zum Thema Suizid heißt: ,Die Berichterstattung über Selbsttötung gebietet Zurückhaltung. Dies gilt insbesondere für die Nennung von Namen, die Veröffentlichung von Fotos und die Schilderung näherer Begleitumstände.' Fazit: Über den von Ihnen erwähnten Vorfall zu berichten, wäre nicht angebracht gewesen."
Manchmal schreiben Redaktionen aber doch über Suizide. Im Journalisten-Magazin "Drehscheibe" schildert Sonja Volkmann-Schluck, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit beim Presserat, einen Fall, mit dem sich der Beschwerdeausschuss befasst hatte.
Eine Regionalzeitung hatte über einen Suizid am örtlichen Bahnhof berichtet, bei dem sich den Einsatzkräften ein "schreckliches Bild" geboten habe. Ein älterer Herr habe sich vor einen einfahrenden ICE geworfen. Die Reisenden seien per Durchsage aufgefordert worden, die Abteile zu verlassen. Wenig später seien Busse eingetroffen, um sie an ihr Ziel zu bringen. Die Redaktion zeigte laut Volkmann-Schluck zudem Fotos der Rettungskräfte am Bahnhof und das Foto der mit einem Tuch abgeschirmten Unglücksstelle. Ein Leser der Zeitung hielt die Berichterstattung für unangemessen. Die Redaktion nenne Details zum Suizidgeschehen. Er vermisse überdies einen Hinweis auf Beratungsstellen für Suizidgefährdete.
Der Chefredakteur teilte nach Darstellung von Volkmann-Schluck mit, dass die Redaktion über Suizide nur dann berichte, wenn sie im öffentlichen Raum mit deutlicher Wirkung für die Öffentlichkeit erfolgt seien. Er sehe in der Berichterstattung deshalb keinen Verstoß gegen den Pressekodex. Der kurz und sachlich informierende Bericht trage dazu bei, die in vergleichbaren Fällen schnell brodelnde Gerüchteküche abzukühlen. Die Redaktion zeige nicht die Leiche, nenne auch nicht Namen und die Herkunft des Toten. Die Person sei trotz der Angabe "ein älterer Herr" wirksam anonymisiert worden. Über eines der Fotos ließe sich zwar aus Pietätsgründen streiten, doch gehe er auch in diesem Fall nicht von einem Kodexverstoß aus, erklärte der Chefredakteur. Den unterbliebenen Hinweis auf Beratungsstellen sah er nicht als Verstoß gegen presseethische Grundsätze.
Der Beschwerdeausschuss des Presserats, so Volkmann-Schluck, erkannte letztlich keine Verletzung der Ziffer 8 des Pressekodex (Schutz der Persönlichkeit) und wies die Beschwerde als unbegründet ab. Die Mehrheit im Gremium sei der Auffassung gewesen, dass die in Richtlinie 8.7 gebotene Zurückhaltung bei der Nennung von Details zu Suiziden nicht verletzt wurde. Die Angaben über die Umstände des Suizids seien durch ein öffentliches Interesse gedeckt, da dieser erhebliche Auswirkungen auf das Geschehen am Bahnhof hatte.
"Umso größer die Aufmachung eines Berichtes über Suizid und umso emotionaler der Inhalt, desto häufiger wird es zu Nachahmungen kommen", warnt die Stiftung Deutsche Depressionshilfe. Sie hat Empfehlungen formuliert, wie Journalisten Nachahmungstaten verhindern können.
Nachahmung, so heißt es darin, setze Identifikation voraus. Diese Gefahr steige, wenn
- durch Titelgeschichten, Schlagzeilen und Fotos Aufmerksamkeit erregt wird;
- die Begriffe Selbstmord, Suizid und Freitod in der Überschrift vorkommen;
- die Suizid-Methode detailliert beschrieben wird;
- ein leicht zugänglicher Ort beschrieben oder gar mystifiziert wird;
- das soziale Umfeld, die Identität und die Motive ergreifend beschrieben werden;
- der Suizid positiv bewertet, glorifiziert oder romantisiert wird;
- der Suizid als nachvollziehbare Reaktion oder als einziger Ausweg bezeichnet wird;
- das Opfer prominent ist.
Die Nachahmungsgefahr sinke hingegen, wenn
- der Suizid als Folge einer Erkrankung (zum Beispiel Depression) dargestellt wird, die erfolgreich hätte behandelt werden können;
- alternative Problemlösungen und Fälle von Krisenbewältigung aufgezeigt werden;
- Hilfestellen und Hilfekontakte angegeben werden;
- Expertenmeinungen eingeholt werden;
- Hintergrundinformationen zum Krankheitsbild Depression gegeben werden;
- über die Arbeit professioneller Helfer berichtet wird.
Suizidale Gedanken: Hier wird Hilfe angeboten
Dieser Artikel behandelt das Thema Suizid. Haben Sie suizidale Gedanken oder kennen Sie eine Person, der es so geht? Hilfe bietet die Telefonseelsorge anonym und rund um die Uhr unter den kostenlosen Nummern 0800/1110111 und 0800/1110222. Auch eine Beratung über das Internet ist möglich unter www.telefonseelsorge.de.
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